Der Druck des Textes auf die Bilder

Malerei, sofern es sich nicht um eine vergnügliche Entspannungstherapie und hobbymäßige Handwerksleidenschaft handelt, bedeutet, sich dem stets sirrenden Anflug zwischen Anspruch und Verwirklichung auszusetzen. Gäbe es eine Beschreibung, sozusagen ein Handbuch der Wege und Orte von den Ideen zu den Bildern, dann wäre dies ein Schatz des Wissens und der Weisheit, der den Geheimnissen eine Geographie entlockte. Gibt es aber nicht. Zu verschlungen und komplex sind die Schöpfungswege, zu überraschend und kompliziert langwierig die Findungen.

Für Wolfgang Günther existiert in den gegenwärtigen Gegenden seiner Malerei so etwas wie ein intimes Dorf, das aus vielerlei Beschäftigungen resultiert und wo er von einer Hütte zur nächsten wandert. Die da heißen: nachdenken, schauen, hören, lesen, sammeln, wieder nachdenken, malen und - verstecken.

Seine Foto-Collagen, die Übermalungen oder die neuesten Werke mit gewachsten Seidenpapieren: "Gedankliche Bilder", wie er sagt. Gedichte, Musikstücke, Textzeilen, Sprüche dienen als ergiebige Quellen, aus denen er seine Bilder holt und baut.

Doch Texte oder Musik soll man gar nicht mehr nachvollziehen können. Sie sind malerisch aufgelöst und ihrer Konkretheit bewusst entfremdet. Es ist zum einen das, was Günther mit "verstecken" meint. Bildschriften bleiben nicht buchstabengetreu und entziehen sich so der Banalisierung. Und zum anderen, die Konsequenz daraus: Das Verrätseln und Verschlüsseln aktiviert den Hof der Assoziationen, treibt die Fragen an und um, ob man dorthin kommt, wo der Ursprung, die Quelle war. Freilich, der Weg ist wichtig, denn die Bilder wachsen jeweils über die Inhalte hinaus und "der Druck des Textes", wie Wolfgang Günther versichert, "ist oft so groß, dass man ihn nicht malen kann."

Im Dorf der Gedanken
Malerei, sofern es sich nicht um eine vergnügliche Entspannungs-therapie und hobbymäßige Handwerksleidenschaft handelt, bedeutet, sich dem stets sirrenden Anflug zwischen Anspruch und Verwirklichung auszusetzen: Wolfgang Günther ist zum "60er" mit Ausstellungen bei Seywald und in der Stadt-Galerie präsent.
Gäbe es ein Handbuch der Wege und Orte von den Ideen zu den Bildern, dann wäre dies ein Schatz des Wissens, der den Geheim-nissen eine Geographie entlockte. Gibt es aber nicht, zu komplex sind die Schöpfungswege.
Für Wolftgang Günther existiert in den gegenwärtigen Gegenden seiner Malerei so etwas wie ein intimes Dorf, das aus vielerlei Beschäftigungen resultiert. Seine Foto-Collagen, die Übermalungen oder die gewachsten Seidenpapier-Bilder sind, wie er sagt, "gedankliche Bilder". Gedichte, Musikstücke, Texte, Sprüche dienen als ergiebige Quellen, aus denen er seine Werke holt und baut.
Doch man soll diese gar nicht nachvollziehen können, sie sind malerisch aufgelöst und ihrer Konkretheit entfremdet. Das Verschlüsseln aktiviert den Hof der Assoziationen, treibt die Fragen an und um, ob man dorthin kommt, wo der Ursprung, die Quelle war.

Wolfgang Günther ist ein großer, stattlicher Mann in seinen fünfziger Jahren, dessen Malerei etwas Kontemplatives und etwas Rabiates hat. Seitdem er der von Millionen für so anziehend gehaltenen Existenz als Landarzt in Tirol entflohen ist, schaut er sich die Welt vorwiegend in Salzburg und auf der griechischen Insel Patmos an. Dort lebt er jedes Jahr etliche Monate ein langsames Leben, das man für beschaulich halten könnte, wenn es nicht die Voraussetzung wäre für eine künstlerische Arbeit, die weniger ruhig, als rauschhaft anmutet. Nachdem er sich in Salzburg und auf Patmos nämlich lange genug mit dem kontemplativen Betrachten von Land, Leuten, Landschaft und Vergänglichkeit beschäftigt hat, nimmt sich Günther das, was er in der Wirklichkeit gesehen, und das, was er in seinem Inneren erschaut hat, noch einmal auf der Leinwand vor. Hat er früher im Zillertal die Menschen, die sich geschnitten haben, wieder zusammengeflickt, reißt er jetzt die Landschaften, die er betrachtet und in sich aufgenommen hat, auseinander, um sie nach einer Anatomie, die er selbstherrlich nach eigenem Gutdünken entwirft, neu zusammenzusetzen. Das hat, wiewohl es an die abstrakte Kunst gemahnt, stets etwas ungemein Körperliches, nicht zu sagen Fleischliches, und wirkt keineswegs als kühle Etüde in Farbe und Form, sondern als ungemein sinnlicher Vorgang. Den zerlegten, erinnerten, erdachten, vorgestellten Landschaften ritzt er mit dem Stift Schriftzüge ein, Zeichen, Symbole unterschiedlicher Herkunft; dies aber tut er nicht mit der Absicht, seine Bilder zu verrätseln und ihnen, die ungemein expressiv an den Betrachter appellieren, noch eine geheimnisvolle Attitüde aufzupicken, sondern weil er sich sein Bild vollständiger wünscht, als es die Wirklichkeit ist. Er reduziert die Wirklichkeit nicht nach und nach im Akt künstlerischer Konzentration auf ihre verborgenen Gesetze, sondern erweitert sie, die wir immer nur partikulär erfahren, zu einem kolossalen Ganzen. In diesem mag jeder, der es sich ansieht, anderes entdecken, aber jeder wird etwas entdecken.

Ein Berserker, dem es um nicht weniger als alles geht, ist Wolfgang Günther kontemplativ und rabiat zugleich, und darum ist es auch nur folgerichtig, daß die einen sich in seine Bilder versenken, die anderen aber von ihnen aus ihrer Ruhe aufgeschreckt werden.

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Wolfgang Günther ist ein österreichischer Maler und ein alter Grieche. Weil er beides ist, möchte er den Ideen malend einen Reichtum zurückgeben, der ihnen einst innewohnte. Wenn Plato von "idéa" sprach, meinte er nämlich nicht jene geistigen Vorstellungen, die wir heute mit Ideen, seien sie unsere eigenen oder geborgte, zu verbinden pflegen. Die Ideen waren ihm vielmehr die Urbilder der Dinge selbst. Bis aus der idéa, die Bild und Gedanke, also Sinnlichkeit und Abstraktion zugleich war, unsere Idee wurde, mußten zwei Jahrtausende abendländischer Kulturgeschichte vergehen, in denen die Erkenntnis zur rein geistigen Angelegenheit domestiziert wurde. Diese Zähmung hat ihre Vorteile, aber schwer wiegen auch die Nachteile, die sie uns eingetragen hat; etwa den, daß wir von phantasievollen Menschen umgeben sind, die nicht denken, und von strengen Wissenschaftlern, die sich nichts mehr vorstellen können, also von Fachidioten für Vorstellungskraft und Fachidioten für technische Intelligenz: während die einen bei jeder technischen Neuerung den Weltuntergang halluzinieren, können sich die anderen gar nicht ausmalen, diesen mit ihrem (dem ziellosen Fortschritt verpflichteten) Tun womöglich herbeizuführen.

Wolfgang Günther, weil er ein alter Grieche und ein sinnenstarker Künstler ist, läßt in der Idee wieder jene Bildlichkeit der Erkenntnis aufleuchten, die die idéa einst ausmachte. Malend und denkend zugleich geht er den Dingen auf den Grund, bis er bei der "Idee", dem Urbild einer jeden Sache, die es ihm als Künstler angetan hat, angekommen ist. Der schöpferische Prozeß ist dabei stets ein doppelter, weil er von Rausch und Kalkül, Hingabe und Überlegung gleichermaßen bestimmt wird. Diese gegensätzlichen Kräfte müssen längst nicht immer harmonisch ineinander wirken, sich ihnen geduldig auszusetzen, macht jedoch einen Teil der künstlerischen Arbeit von Günther aus: Manchmal weiß er mehr, als er malt, manchmal malt er weiter, als er weiß - und um dorthin zu gelangen, wohin er wollte, muß er darauf vertrauen, arbeitend den Weg zu einem Ziel zu finden, das er im Vorraus selber gar nicht kennt.

Wolfgang Günther verarbeitet seine täglichen optischen Eindrücke, seine Netzhaut-Speicherungen, wie er es nennt, zu Ikonen einer Wunschlandschaft. Es entstehen meist Bild-Serien, die durch ein Thema zusammengehalten werden. Ob das Motiv durch das Malen entsteht oder vorgefaßt ist, muß für den Betrachter nicht ersichtlich sein.

Günther arbeitet frei mit allen Elementen seiner bisherigen Arbeitserfahrung, zerstört Malgründe, klebt zerknittertes Papier auf Leinwände, sucht in der Collage die erweiter­te Ausdrucksform. Er erfindet im Malen, in der Arbeit, außerhalb einer rationellen Vor­stellung, in der anstehenden Auseinandersetzung sein eigenes Logo.

Wie jede Entwicklung von der Abhängigkeit in die Unabhängigkeit und von der Verwick­lung in die Freiheit zielen sollte, so spürt man bei Wolfgang Günther eine immer unab­hängigere Kraft der Gestaltung der Bildelemente und einen Wegfall der Spekulation mit dem Betrachter.

Er, der fähig ist, zu sehen, Farben und Formen in sich aufzunehmen, der nicht müde wird, seine Umgebung, seinen Lebensraum malerisch zu erfassen und sich so eine ungezwungene Handschrift erarbeitet, wird weiter eine Bilderwelt erschaffen, die einen freien Geist darstellt. Unabhängig von den vielen lauten Strömungen in unserem Kultur­geschehen.

"auftauchen von formen und farben als dinge des geistes", diese Zeile aus einem Gedicht des amerikanischen Schriftstellers Robert Lax, ein Vertreter der konkreten Poesie, bestimmt die derzeitige Schnittstelle der Kunst von Wolfgang Günther, des Malers, mit der seines Freundes, dem Dichter. Günthers Bilder der letzten zwei Jahre stehen in enger Beziehung zu Dichtungen von Robert Lax. Das spannende Sich-Einlassen auf die philosophischen Gedanken und Beschreibungen der Insel Patmos, ihres gemeinsamen Wohnortes, erfolgt in Form einer "Konversation", welche in des Malers Art emotionell auf der Leinwand verarbeitet wird. Den Ausgangspunkt gibt für Günther die Offenheit der Dichtung von Lax an. Die läßt für ihn viele Analogien mit eigenen Eindrücken und Stimmungen zu.

"war es eine landkarte, ein kompass, eine ankunft?". Die Möglichkeiten des Festmachens des Geschauten sind in den Arbeiten von Wolfgang Günther vielfältig, denn die Auseinandersetzung mit der Natur, mit der Landschaft, denn diese ist das zentrale Thema seiner Malerei, äußert sich vielschichtig. Vielschichtig, beim Wort genommen, zum einen bezüglich des Abstraktionsvor-ganges, der Verarbeitung der optischen und emotionalen Eindrücke, zum anderen bezogen auf die Art und Weise der bildhaften Umsetzung, den Malvorgang. Beide Ebenen gehen dabei natürlich ein Wechselspiel ein, sie bedingen einander, bauen sich aneinander auf. Günther setzt bei einer konkreten sinnlichen Erfahrung ein, verdichtet sie, reduziert sie immer stärker auf das ihm Wesentliche. Die Natur wird zum Naturähnlichen. Formen und Farben - expressiv, erdig - stürzen, fluten, schweben, reiben sich aneinander, formieren sich. Die Naturdarstellung wird weit gefaßt, läßt für die BetrachterInnen viele Assoziationen zu, jedoch sagt sie sich nie völlig vom Geschauten los.
Analog zu den mehreren Schichten der gedanklichen Umsetzung der Naturerfahrung erfolgt deren Veranschaulichung. Ein Motiv wird mehrmals übermalt, die Reliefwirkung der Farben erhält durch das unterlegte Papier, das Falten "zeichnet", seine Verstärkung, Schichten werden aufgebaut und wenn notwendig wieder abgetragen. Der Pinselstrich schlägt sich Bahnen, hinterläßt "Eindrücke". Textsplitter, Kalligrafisches, vereinzelt figurale Versatzstücke mischen sich abschließend mit ein, legen sich als weitere Dimension darüber. Günther arbeitet an mehreren Bildern gleichzeitig. Dem Eindruck des Spontanen, der scheinbar unmittelbaren Formfindung, gehen jedoch eingehende gedankliche und formale Überlegungen, festgehalten in Zeichnungen, voraus.

"eine wolke betrachtet mit vollkommener gelassenheit den hügel". Trotz all dieser "Vielschichtigkeit" mögen die Bilder von Wolfgang Günther ganz einfach, auch im Sinne des Malers, als schön erfahren werden und die BetrachterInnen romantisch stimmen. Auch diese Sichtweite läßt das Naturbild Günthers in seiner Offenheit zu.

 

 

robert lax lyriker